Jahreskreis
22. Sonntag (Lesejahr C)
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Demut
Gastmahl
im Gedränge.
Demut: Erdnah und gottverbunden.
Heilige, Sportler und Dichter.
I. Jesus
ist zu einem Gastmahl im Hause eines einflußreichen Pharisäers geladen1.
Dieser dürfte nicht zu der massiv gegen Jesus agierenden Jerusalemer Gruppe
gehört haben, die ihre Spione gegen ihn ausschickte, eher zu denen, die wenig
Kontakt mit dem Herrn hatten. Alles läßt auf eine erste Begegnung zwischen ihnen
und Jesus schließen. »Man könnte sagen: Jesus dringt in eine neue Zone ein, sie
haben wohl ebenfalls die Vorurteile ihrer Partei, aber sie haben sich über Jesus
noch kein endgültiges Urteil gebildet.= 2 Der Herr verfolgt aufmerksam das
Betragen der Gäste. Sie drängeln und schieben sich nach vorn zu den
Ehrenplätzen. Der Herr mag eine Weile gewartet haben, bis Ruhe eingekehrt war,
dann erteilt er ihnen eine Lehre, diesmal - anders als sonst - sanft und
erhalten. Jesus wendet sich nicht an einen bestimmten unter den Anwesenden,
sondern an ein
Du, das jeder sein könnte:
Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen
bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Er schärft ihnen nicht
ein Gebot ein, sondern gibt eine Empfehlung.
Denn es könnte ein anderer eingeladen
sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn
eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem Platz! Du aber wärst
beschämt und müßtest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen
bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird
der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird
für dich eine Ehre sein vor allen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird
erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.3
Was will
uns der Herr hier sagen? Er erinnert daran, daß es nicht gut ist, von sich
selbst eine zu hohe Meinung zu haben, die uns dazu verleiten könnte, uns über
alle anderen zu stellen. Dies mache leicht - stellen wir uns nur das Gedränge
unter den Gästen vor - grob und rücksichtslos. Vielleicht ist auch der Rat
mitgemeint: Sieh dich um, bevor du den dir zugewiesenen Platz verschmähst,
vielleicht entwickelt sich aus dem Gespräch mit dem unbekannten Tischnachbarn ja
eine freundschaftliche Beziehung.
Welchen
Platz wird der Gastgeber dem Herrn zugewiesen haben? Ob einer der Gäste auf den
Gedanken gekommen ist, der beste Platz sei der neben Jesus? Wir wissen es nicht.
Und doch: Wie anregend ist es, diesen Gedanken auf unser geistliches Leben
anzuwenden. Ist uns etwa die flüchtige Anerkennung durch Menschen wichtiger als
die Nähe zu Christus? Suchen wir wirklich die Nähe des Herrn? Da finden wir die
echte Demut. Christus hat sie uns vorgelebt: »Je tiefer er sich in seinem
Menschsein erniedrigte, um so größer erwies er sich in seiner Güte. Je
armseliger er für mich geworden ist, desto lieber ist er mir geworden.«4 Nehmen
wir uns in acht, daß der legitime Wunsch, geachtet zu sein, sich nicht
verselbständigt.
Mutter
Teresa schreibt: »Jesus hat gesagt: >Lernt von mir.< In unseren Betrachtungen
sollten wir immer sagen: >Jesus, mache aus mir einen Heiligen nach deinem
Herzen, sanft und demütig.< Wir sollen in dem Geist antworten, in dem Jesus sich
unsere Antwort wünscht. (...) Haben wir ihn in seiner Demut wirklich verstanden?
Finden wir an dieser Demut Geschmack, zieht sie uns an?«5
II. Man
hat die Demut »eine zwar nicht vergessene, aber auf vielerlei Art mißdeutete und
mißkannte Tugend«6 genannt. Sie besteht im Grunde nicht darin, ungeordnete
Regungen des Hochmuts, des Ehrgeizes, der Eitelkeit niederzuringen: Das Wort
humilitas ist mit humus Erde, Boden - verwandt. Demut heißt Erdnähe, Bodennähe.
»= 6 genannt. Sie besteht im Grunde nicht darin, ungeordnete Regungen des
Hochmuts, des Ehrgeizes, der Eitelkeit niederzuringen: Das Wort humilitas ist
mit humus - Erde, Boden - verwandt. Demut heißt Erdnähe, Bodennähe. Demut ist
die Erkenntnis und die bejahende Anerkennung des unaussprechlichen Abstandes
zwischen Schöpfer und Geschöpf.«7 Der Gründer des Opus Dei schreibt: »Ich bitte
dich, Herr, um die Gabe der Liebe: eine Liebe, die mich rein macht... - Und noch
um eine weitere Gabe bitte ich dich: um Selbsterkenntnis, damit ich demütig
werde.«8
Es geht
in der Demut um den Blick für die Wahrheit der Dinge und des Menschen: »Ich
dachte einmal über den Grund nach, warum unser Herr ein so großer Liebhaber der
Demut ist« schreibt die heilige Theresia von Avila. »Da kam mir, wie ich glaube,
plötzlich und wie von selbst der Gedanke: Gott ist die höchste Wahrheit, und die
Demut ist ein Wandeln in der Wahrheit. Denn es ist ganz gewiß wahr, daß wir von
uns selbst nichts Gutes, sondern nur Armseligkeit und das Nichtssein haben. Wer
dies nicht erkennt, der wandelt in der Lüge; je mehr wir aber dies erkennen, um
so mehr entsprechen wir der höchsten Wahrheit, weil wir dann in der Wahrheit
wandeln.«9
Grundlage
der Demut ist also die Anerkennung des unendlichen Abstandes zwischen Schöpfer
und Geschöpf. Je deutlicher wir uns dieses Abstands bewußt sind, um so dankbarer
werden wir für die Hinneigung Gottes zu seinen Geschöpfen. »Wer von oben
empfangen will, der muß notwendigerweise ganz unten sein in rechter Demut (...).
Sieh zu, daß du dich hinab begibst in rechter Demut unter Gott und daß du
(andererseits) Gott erhebst in deinem Herzen und in deinem Erkennen.«10
Wer sich
selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht
werden.
Das Geschöpf, das sich in Demut Gott öffnet, wird von ihm erhöht. Die Seele wird
dann fähig zu hohen Zielen. Betrachten wir Maria, nachdem sie ihre Auserwählung
erfahren hat.11
Zum Engel sagt sie schlicht, sie sei
die Magd des Herrn. Als
sie von Elisabet das Lob vernimmt -
Gesegnet bist du mehr als alle
anderen Frauen -, macht sie sich bereit, ihr zu dienen. Die
Begnadete enthüllt nicht einmal dem heiligen Josef, ihrem Bräutigam, das
Geheimnis ihrer Auserwählung: sie überläßt Gott die Erklärung und den Zeitpunkt.
Ihr Jubel richtet sich auf die Großtaten des Allmächtigen. Sie sieht sich vor
Gott in ihrer Niedrigkeit12
und wird so fähig, sich selbst zu vergessen und Gott die Mitte ihres Lebens,
ihrer Pläne, ihres Willens sein zu lassen. An ihr erkennen wir, was es heißt,
Geschöpf zu sein: bedürftig und geborgen zugleich. Maria sucht allein die Ehre
Gottes, nicht das Lob der Menschen im Gegensatz zu den Tischgenossen Jesu beim
Gastmahl im heutigen Evangelium. In ihr verkörpert sich ganz das Wort des Herrn
an die Geladenen:
wer sich selbst erniedrigt, wird
erhöht werden.
Der
Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und beruflichem Erfolg kann durchaus
gut und legitim sein, ja ein Zeichen von Verantwortung. Aber dieser Wunsch kann
leicht in falschen Ehrgeiz umschlagen, wenn die Demut fehlt. Dem Demütigen liegt
es nicht, sich selbstgefällig zur Schau zu stellen. Er will Gott mit seinen
Gaben dienen und nicht Gegenstand von Bewunderung sein. Wer so lebt, kann sich
vorbehaltlos in den Dienst Gottes stellen. Gott wird ihn an sich ziehen, an
seinem Innenleben teilnehmen lassen, mit einem Wort: ihn vergöttlichen. Maria,
die Magd des
Herrn, wird Königin aller Engel und Heiligen.13
III.
Meine Seele
preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott.14
Der Demütige dankt Gott und freut sich; denn die Demut läßt ihn entdecken, daß
alles Gute von Gott kommt.
Es gibt Geschenke - Dinge oder Menschen
-, die uns innerlich zum Singen bringen, und das ganz unverdient, was uns helfen
kann, bescheiden zu werden. Nicht nur Selbstüberschätzung, auch Befangenheit,
Kleinmut oder Mittelmaß stehen im Widerspruch zu echter Demut. Sie karikieren
sie. Der Demütige überläßt sich Gottes Händen und freut sich, daß Gott Großes
durch ihn tun will. Er wird großmütig, hochherzig, offen für große
Unternehmungen , weil sie zur Ehre Gottes gereichen. Er wagt vieles, weil er mit
Gottes Gnade rechnet, die alles vermag. Er ist kühn im Bitten, weil ihm die
göttliche Hilfe niemals fehlen wird.
Sich
beschenkt zu wissen befähigt den Demütigen zur Freude - und zwar nicht allein zu
einer spirituellen Freude. Gegen Ende der Olympischen Spiele in Atlanta erschien
ein Zeitungsbeitrag unter der Überschrift: »Bronze macht glücklicher als Silber«
Dieses überraschende Phänomen wird mit einem »kontrafaktischen Denken« erklärt,
das menschliches Empfinden prägt. Demnach zählt nicht nur das, was sich
tatsächlich ereignet hat, sondern auch, was hätte eintreten können oder beinahe
eingetreten wäre. Der zweite Platz weckt die Vorstellung von dem ganzen Triumph,
den man hätte erringen können, wäre man Erster geworden. Drittplazierte dagegen
schätzen sich glücklich, es gerade noch auf das Podest geschafft zu haben.
Interviews wurden ausgewertet: während die Zweitbesten gern darüber sprachen,
was sie beinahe
erreicht hätten, haderten die Gewinner der Bronzemedaille weniger mit sich, ja
sie äußerten sich zufrieden darüber, daß sie manches gerade noch abwenden
konnten. Messungen anhand von Fernsehaufzeichnungen sollen ergeben haben, daß
Bronzegewinner sichtlich glücklicher waren als die Silbermedaillengewinner.
Dienstbereite Nächstenliebe ist ein untrüglicher Indikator dafür, daß sich
jemand um Demut bemüht. Der selige Josemaría Escrivá war sich nicht zu schade,
in den Anfangszeiten des Opus Dei den jungen Menschen, die mit ihm zusammen in
einem kleinen Studentenheim wohnten, die Zimmer zu reinigen und die Betten zu
machen, da es an finanziellen Mitteln gänzlich fehlte. Später, so berichtet sein
engster Mitarbeiter, rang er mit dem Heiligen Stuhl kindlich darum, daß ihm, dem
Gründer, die brüderliche Zurechtweisung nicht vorenthalten werde, was in der Tat
bis dahin in der Kirche nicht üblich gewesen war gegenüber Gründergestalten:
»Das kann doch nicht sein. Alle meine Kinder können sich auf ein Hilfsmittel
stützen, das seinen Ursprung im Evangelium hat, nämlich die brüderliche
Zurechtweisung. Auch wenn es wehtun mag und sich beide Seiten - sie selbst und
diejenigen, denen sie erteilt wird - dabei überwinden und demütig und abgetötet
sein müssen, haben die anderen doch eine wunderbare Hilfe für ihre Heiligung.
Und ich, der ich ein armseliger Mensch bin, und die, die mir folgen und die zwar
besser als ich, aber auch nur armselige Menschen sein werden, wir sollen diese
Hilfe zur Heiligung nicht bekommen?«15
Um besser
zu verstehen, was Demut ist, haben wir in dieser Zeit des Gebetes Klassiker,
Heilige und Sportler bemüht. Zitieren wir zum Schluß einen Dichter, damit es uns
gelingt, Erdnahes glänzen zu sehen: »Sich zurückhalten an der erde / keinen
schatten werfen auf andere / im schatten der anderen leuchten« 16.
14,1.7-14. -
M.-J. Lagrange,
Das
Evangelium von Jesus Christus,
Heidelberg 1949, S.381. -
14,1,7-11. -
Bernhard von Cairvaux,
Predigt
zu Epiphanie.
-
Mutter Teresa,
Beschaulich inmitten der Welt,
Einsiedeln 1990, S.28. -
J. Pieper,
Lieben,
Hoffen, Glauben,
München 1986, S.206. -
ebd., S.207. -
J. Escrivá,
Im Feuer
der Schmiede,
Nr.185. -
Theresia von Avila,
Seelenburg,
6,10,7. -
Meister Eckhart,
Die
Gottesgeburt im Seelengrund,
Freiburg 1990, S.90. -
vgl.
1,26-38. -
vgl.
1,47-49. -
vgl.
Lauretanische Litanei.
-
1,46-47. -
A. Portillo,
Über den
Gründer des Opus Dei,
Köln 1996, S.195. -
Reiner Kunze,
auf
eigene hoffnung,
Frankfurt 1987, S. 33.