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Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

Jahreskreis
22. Woche - Dienstag

32

Das Evangelium Jesu Christi

Persönlicher Umgang mit Christus.
Im Evangelium zu Hause sein.
Gottes Wort in unserem Leben.

I. Am Anfang und am Ende des heutigen Evangeliums1 berichtet Lukas von den Reaktionen der Menschen um Jesus: Sie waren sehr betroffen von seiner Lehre, denn er redete mit göttlicher Vollmacht (...). Da waren alle erstaunt und erschrocken, und einer fragte den anderen: Was ist das für ein Wort? Mit Vollmacht und Kraft befiehlt er den unreinen Geistern und sie fliehen. Es beeindruckt sie, daß er nicht wie die Schriftgelehrten2 lehrt, sondern mit seiner ganzen Person.

Unser christlicher Glaube ist »nicht etwa eine Weltanschauung mit religiösem Hintergrund, auch nicht ein religiöses oder theologisches Lehrsystem oder Moralgesetz, sondern es ist Mysterium im paulinischen Sinn, das heißt eine Offenbarung Gottes an die Menschheit durch gottmenschliche Taten, voll Leben und Kraft= 3. Mysterium - und doch Umgang mit einer Person, mit dem Sohn Gottes, der durch seine Menschwerdung faßbar, berührbar, hörbar geworden ist. Der Apostel Johannes scheint das Reale dieser Beziehung bekräftigen zu wollen, indem er sinnenhafte Ausdrücke gleicsam anhäuft: Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, das verkünden wir; wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbart wurde. Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt.4 Auch Lukas betont am Anfang seines Evangeliums5, daß er Reales berichtet: was sich unter uns ereignet und erfüllt hat. Er nimmt sich vor, allem von Grund auf sorgfältig nachzugehen und es der Reihe nach aufzuschreiben. Deshalb hat die Kirche »am apostolischen Ursprung der vier Evangelien (...) immer und überall festgehalten und hält daran fest; denn was die Apostel nach Christi Gebot gepredigt haben, das haben später unter dem Anhauch des Heiligen Geistes sie selbst und Apostolische Männer uns als Fundament des Glaubens schriftlich überliefert: das viergestaltige Evangelium nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.«6

Die Zuhörer Jesu waren betroffen, erstaunt, erschrocken. Noch konnten sie sich abwartend verhalten. Anders dagegen die Jünger. Nach einiger Zeit müssen sie Stellung nehmen: 7 Die Antwort des Petrus kommt aus dem lebendigen Glauben. Auch wir, Jünger Jesu in unserer Zeit, müssen in die Schule der ersten Jünger gehen, die zu seinen Zeugen und für uns zu Lehrern wurden: wir müssen »die Erfahrung und das Zeugnis von fast zwanzig Jahrhunderten Geschichte annehmen, in denen die Frage des Meisters ihre Furchen gezogen hat und aus denen ein großer Reichtum an Antworten aus der unermeßlichen Schar der Gläubigen aller Zeiten und Orte hervorgegangen ist. Heute hat uns der Geist, der Herr ist und lebendig macht, bereits nahe an die Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends herangeführt, und wir sind aufgerufen, mit neuer Freude die Antwort zu geben, zu der Gott uns anregt und die er von uns erwartet, gewissermaßen wie für eine neue Geburt Jesu Christi in unserer Geschichte.«8

An frühen christlichen Sarkophagen kann man eine Gestalt finden, die an einen antiken Philosophen erinnert, aber in der Hand das Evangelium, das Buch der lebendigen Wahrheit trägt. Ein allgemeines Wissen über Christus soll uns nicht genügen. Auch eine tiefergehende Kenntnis wäre zu wenig heute, da »sich um Christus, auch bei den Christen, oft Schatten der Unwissenheit ausbreiten oder, was noch schlimmer ist, Schatten des Mißverstehens, wenn nicht gar des Unglaubens. Es besteht immer Gefahr, sich auf das >Evangelium Jesu< zu berufen, ohne dessen Größe und Radikalität zu erkennen und ohne das zu leben, was man mit Worten bekennt. Wie viele gibt es, die das Evangelium auf ihr eigenes Maß herabmindern und sich einen bequemeren Jesus zurechtmachen; die seine göttliche Transzendenz leugnen oder aber sein wirkliches, geschichtliches Menschsein; wie viele auch, die die Vollständigkeit seiner Botschaft manipulieren, vor allem nicht sein Kreuzesopfer, das sein Leben und seine Lehre beherrscht, berücksichtigen, noch die Kirche, die er als sein >Sakrament< in der Geschichte eingesetzt hat.«9 Sicherlich kennen wir solche Reaktionen; da reichen weder Betroffenheit noch gelehrtes Wissen aus: es muß Zeugenschaft sein.

II. Alles im Alten Testament war auf Christus hingeordnet, und alle Bücher im Neuen Testament gehen von Christus aus. Deshalb lehrt die Kirche, »daß unter allen Schriften, auch unter denen des Neuen Bundes, den Evangelien mit Recht ein Vorrang zukommt. Denn sie sind das Hauptzeugnis für Leben und Lehre des fleischgewordenen Wortes, unseres Erlösers.«11 Besonders von den Evangelien gilt, was in der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die göttliche Offenbarung steht: »In den Heiligen Büchern kommt ja der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf.«12 Deshalb ermahnt das Konzil alle Christgläubigen, »besonders eindringlich, durch das häufige Lesen der Heiligen Schrift sich das >alles übertreffende Wissen Jesu Christi< (Phil 3,8) anzueignen. >Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen< (Hieronymus). Sie sollen deshalb gern an den heiligen Text selbst herantreten, einmal in der mit göttlichen Worten gesättigten heiligen Liturgie, dann in frommer Lesung. (...) Sie sollen daran denken, daß Gebet die Lesung der Heiligen Schrift begleiten muß, damit sie zu einem Gespräch werde zwischen Gott und Mensch.«13 Es soll eine Lektüre voll glaubender, liebender, betender Anteilnahme sein. Die Kirche hat das Evangelium als »Seelenspeise und reinen, unversiegelten Quell des geistlichen Lebens«14 unter dem Beistand des Heiligen Geistes unversehrt durch diejahrhunderte weitergegeben, damit wir darin Weisung für unseren Lebensweg finden.

Nötig ist eine Kenntnis, die wir engagiert nennen könnten: »Es genügt nicht, ein allgemeines Bild von Christus zu haben, wir müssen vielmehr aus seiner Haltung und seinen Reaktionen lernen. Und vor allem müssen wir seinen Erdenwandel betrachten und seinen Spuren nachgehen, um Kraft, Licht, Gelassenheit und Frieden daraus zu schöpfen.

Wenn man einen Menschen liebt, möchte man alles, selbst die kleinsten Details über ihn wissen, um sich mit ihm identifizieren zu können. Darum müssen wir die Lebensgeschichte Jesu betrachten, von der Geburt in einer Krippe bis zu seinem Tod und seiner Auferstehung.«15

Nur einen Menschen, den man gut kennt, kann man lieben. Deshalb ist es nötig, das Leben Christi »ganz im Kopf und im Herzen zu tragen, damit wir es in jedem Augenblick ohne Hilfe eines Buches mit geschlossenen Augen vor unserem inneren Blick wie einen Film vorbeiziehen lassen können. Die Worte und Taten des Herrn werden uns auf diese Weise in den verschiedenen Situationen unseres Lebens begleiten.

So werden wir sein Leben mitleben. Denn es geht nicht nur darum, an Jesus zu denken, uns diese oder jene Szene zu vergegenwärtigen. Wir müssen uns vielmehr in sie hineinversetzen, und als Teilnehmer des Geschehens werden wir dann Christus so nahe folgen wie Maria, seine Mutter, wie die ersten Zwölf, wie die frommen Frauen und die Menge, die ihn umdrängte.«15 Dann erfährt man das ganze Leben Christi als eine beständige Lehre: »Die Momente seines Schweigens, seine Wunder, seine Taten, sein Beten, seine Liebe zum Menschen, seine Vorliebe für die Armen und Kleinen, die Annahme des letzten Opfers für die Erlösung der Welt am Kreuz und seine Auferstehung: dies alles macht sein Wort wirklich und wahr und vollendet seine Offenbarung (...). All diese Überlegungen (...) sollen in uns die Begeisterung für Christus kräftigen, für den Meister, der den Menschen offenbart, wer Gott ist, und auch, wer der Mensch ist; für den Meister, der rettet, heiligt und führt, der lebt, spricht, aufrüttelt und erschüttert, zurechtweist, richtet und verzeiht, der täglich den Weg durch die Geschichte mit uns geht; für den Meister, der kommt und kommen wird in Herrlichkeit.«16

Wir schlagen das Evangelium mit dem Wunsch auf, Christus sehr aufmerksam, wie seine Jünger damals, zu betrachten: wie er in dieser oder jener Situation reagierte, warum er mit diesem Menschen so und mit jenem anderen anders sprach, wie er sich der Bedürftigen und Notleidenden erbarmte, wie er sich nach langer Wanderung müde fühlte und unter Freunden Erholung suchte, wie er den Glauben einfacher Menschen pries, wie er geduldig die Schwerfälligkeiten seiner Jünger ertrug. Und immer wieder werden wir beobachten, wie er tagsüber und nächtelang das Gespräch mit dem Vater sucht, dankend, vertrauend, bittend. Wir lernen so den Umgang mit Gott und mit den Menschen und entdecken in den Bildern des Evangeliums uns selbst: als Arbeiter im Weinberg und als Knechte auf dem Acker des Herrn, als Hirten, Bauern und Stadtmenschen, denn das alles sind wir in den Gleichnissen.

III. Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.17 Seitdem der Sohn gesprochen hat, steht jede Stunde der Menschheitsgeschichte im Zeichen der Endzeit, der Vollendung - auch jede Stunde meines Lebens. Das ist der Kern der Frohen Botschaft. Das Wort des Sohnes bleibt aktuell: kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens18. Es ist wahres Licht, das jeden Menschen erleuchtet19. »Das Wort Gottes ist unerschöpflich, es ist nie ausgelotet, nie ausgelitten und nie ausgedacht; jede Zeit eröffnet neue Wege in es hinein, so daß es in jeder Zeit Gegenwart ist, in der Gott hier und heute zu uns spricht.«20

»Ich habe dir geraten, jeden Tag einige Minuten im Neuen Testament zu lesen und dich, gleichsam selbst beteiligt, in jede der einzelnen Szenen hineinzuversetzen. Auf diese Weise kannst du das Evangelium in deinem Leben sozusagen >Fleisch und Blut< werden lassen, kannst es erfüllen und auch andere dahin bringen, es zu erfüllen.«21 Manchmal werden wir uns im verlorenen Sohn, der traurig-froh -zum Vater heimkehrt, oder im verirrten Schaf, dem die Sorge des Hirten gilt, wiederfinden. Manchmal wird uns ein Wort oder eine Begebenheit besonders ansprechen. Und immer werden wir Stoff für unsere festen Gebetszeiten finden, die so nötig sind, will man mitten in der Welt auf Gott hin leben. »Jeder Gläubige kann und muß aus den verschiedenen Formen und dem Reichtum des christlichen Gebetes, wie es die Kirche lehrt, seinen eigenen Weg und seine eigene Gebetsmethode herausfinden; doch fließen alle diese persönlichen Wege am Ende in jenen Weg zum Vater zusammen, als der sich Jesus Christus bezeichnet hat. Beim Suchen nach dem eigenen Weg soll sich der einzelne daher nicht so sehr von seinem persönlichen Geschmack als vielmehr vom Heiligen Geist leiten lassen, der ihn durch Christus zum Vater führt.«22

Suchen wir nach einem passenden Augenblick für die tägliche Lektüre des Evangeliums. Und dann werden wir es Gott überlassen, wie er durch sein Wort auf unser Leben einwirken will. Sei es, um einem bestimmten Menschen gegenüber geduldiger zu sein; sei es, daß wir uns als Kinder Gottes durch nichts den Frieden rauben lassen; vielleicht stimmt er uns versöhnlicher gegenüber einer kleinen Beleidigung, stimmt uns auf eine gute Beichte ein oder regt uns an, die Arbeit gut zu tun. Jeden Tag können wir einen Gedanken und einen Vorsatz finden, an den wir uns halten. Schritt für Schritt können sich die Worte des seligen Josemaría Escrivá in unserem Leben bewahrheiten: »Wären doch dein Verhalten und deine Worte so, daß jeder, der dich sieht oder mit dir spricht, unwillkürlich dächte: Der da beschäftigt sich mit dem Leben Jesu.«23

Am Anfang unserer Betrachtung hörten wir von der Betroffenheit der Leute - zu wenig für einen Jünger des Herrn, sagten wir. Merken wir uns am Ende ein anderes Kennzeichen, das Lukas betont: die Freude. »Wo Jesus in die Nähe kommt, da entsteht Freude. Lukas, der Evangelist, der sein Evangelium und die Apostelgeschichte so bedachtsam komponiert hat, hat diesen Faden nicht aus dem Auge verloren. Der letzte Satz des Evangeliums sagt uns nämlich: Als die Jünger den Herrn hatten auffahren sehen, da gingen sie weg, das Herz voll Freude (Lk 24,52). (...) Rein menschlich würden wir erwarten: voll Verwirrung. Nein, wer den Herrn nicht nur von außen gesehen hat; wer sich sein Herz von ihm berühren ließ; wer den Gekreuzigten angenommen hat und, eben weil er den Gekreuzigten angenommen hat, die Gnade der Auferstehung kennt, der muß voller Freude sein.«24

4,31-37. - vgl. 1,22. - O. Casel, Das christliche Kultmysterium, Regensburg 1932, S.25. - 1,1-3. - vgl. 1,1. - II. Vat. Konz., Konst. Dei Verbum, 18. - 16,15. - Johannes Paul II., , 7.1.1987. - ebd. - II. Vat. Konz., Konst. Dei Verbum, 18. - ebd., 21. - ebd., 25. - ebd. - J. Escrivá, Christus begegnen, 107. - ebd. - Johannes Paul II., Apost. Schreiben Catechesi tradendae, 16.10.1979, 9. - 1,1. - 4,12. - 1,9. - J. Ratzinger, Christlicher Glaube und Europa, München 1981, S.128. - J. Escrivá, Die Spur des Sämanns, Nr.672. - Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben über einige Aspekte der christlichen Meditation, 15.10.1989, 29. - J. Escrivá, , Nr.2. - J. Ratzinger, Diener eurer Freude, Freiburg 1988, S.48-49.

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