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Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

JAHRESKREIS
11. WOCHE - DIENSTAG

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heilig werden wollen

Die Herzmitte von Christi Botschaft.
Der Ort unserer Heiligung.
Nicht aus uns selber.

I. »Durch alle Worte der Heiligen Schrift sagt Gott nur ein Wort: sein eingeborenes Wort, in dem er sich selber ganz aussagt.«1 Im heutigen Evangelium, verkündet das eingeborene Wort die Herzmitte seiner Botschaft: Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist. Dieses Wie begegnet uns mehr Evangelium, bezogen auf den Vater oder auf Jesus: Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist3. Liebet einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.4 »Es wäre nicht möglich, das Gebot des Herrn zu befolgen, wenn es sich darum handelte, das göttliche Vorbild äußerlich nachzuahmen. Es handelt sich aber um eine lebendige, >aus der Tiefe des Herzens< kommende Teilnahme an der Heiligkeit, an der Barmherzigkeit und an der Liebe unseres Gottes.«5 Der Herr verkündet nichts Unmögliches; was er fordert, ist nicht die moralische Anstrengung aus bloßer natürlicher Lebenskraft, sondern eine dem Leben in ihm6 entsprechende Gesinnung, die möglich wird, wenn wir aus dem Geist leben7. »Das ist wahrhaftig keine >Ethik< mehr - eine Ethik, die das forderte, wäre Frevel -, sondern Glaube, Sich-Hingeben an eine Forderung, die zugleich Fülle der Gnade sein muß, weil dergleichen aus Menschenkraft nicht möglich ist.«8

Die Aufforderung Jesu zur Heiligkeit richtet sich nicht nur an die kleine Gruppe seiner Jünger, sondern an jeden. Der Evangelist merkt an, wie alle - die Menge - sehr betroffen von seiner Lehre waren9. Unter seinen Zuhörern sind Männer und Frauen, Handwerker und Gelehrte, Junge und Alte, Zöllner, Bettler, Kranke. Viele werden das Wort des Herrn »mitgenommen« haben, als sie zu ihrer Arbeit, zu ihrem Zuhause, zu ihren Aufgaben in der Welt zurückkehrten. Und dort wird dieses Wort weitergewirkt haben.

Die Kirche verkündet durch die Jahrhunderte die Aufforderung und den Auftrag Christi zur Heiligkeit: »Daher sind in der Kirche alle, mögen sie zur Hierarchie gehören oder von ihr geleitet werden, zur Heiligkeit berufen gemäß dem Apostelwort: >Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung< (1 Thess 4,3)«10. »Jedem ist also klar, daß alle Christgläubigen, jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind.«11

Uns selbst, unseren Nachbarn, Arbeitskollegen, Kommilitonen sagt Christus: Seid vollkommen ... Er ruft uns zu einer Liebe auf, die alles Mittelmäßige und Träge ablegen soll. Lieben ist die Urkraft des menschlichen Herzens, keine spezielle Begabung oder »Leistung« die nur einigen wenigen möglich wäre. Alle können lieben. Und Heiligwerden ist eine Frage der Liebe, des sehnsüchtigen Wunsches, mit Hilfe der Gnade zum Meister zu gelangen. Ein Liebender vermag die Mühen und Unerquicklichkeiten des Alltags mit anderen »ugen zu sehen. Sie erhalten einen neuen, einen übernatürlichen Sinn. Heiligkeit bedeutet, mit dieser entschiedenen Liebe zu Gott jenseits einschläfernder Selbstzufriedenheit die Kraft zum Heroismus im Kleinen und Alltäglichen zu finden.

Heilig werden wollen ist die praktische Antwort auf die Bitte, die wir so oft im Vaterunser aussprechen: Geheiligt werde dein Name. Der heilige Cyprian von Karthago schreibt Mitte des dritten Jahrhunderts: »Wie groß ist die Barmherzigkeit des Herrn, wie groß seine Huld und Güte! (...) Wir bitten Gott, daß sein Name in uns geheiligt wird. Von wem sollte Gott auch geheiligt werden, da doch er es ist, der heiligt? Aber weil er gesagt hat: >Seid heilig, denn ich bin heilig<, bitten wir inständig, daß wir, durch die Taufe geheiligt, in dem heiligen Leben verharren, das wir angefangen haben. Darum beten wir jeden Tag; denn wir brauchen eine tägliche Heiligung.«12

II. Die Heiligkeit, die der Herr von uns erwartet, ist möglich, wenn wir mit ihm - dem Weinstock - verbunden sind. Von da her erhalten wir Kraft und erkennen, daß die Prüfungen und Nöte des Lebens uns läutern: Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt13. Leid und Schmerz werden so zu Heimsuchungen im tieferen Sinne des Wortes - zu Gnadengaben, die uns auf dem Weg zur Heiligkeit voranbringen.

Vielleicht ist der Ruf Gottes zur Hingabe an seinen Willen - zur Heiligkeit - inmitten einer schmerzlichen Situation einmal deutlicher als sonst vernehmbar. Eigentlich aber ist jede Situation im Leben des Menschen geeignet, Gott inniger zu lieben. Das innere Leben nährt sich aus den ganz gewöhnlichen Gegebenheiten eines jeden Tages, ähnlich wie eine Pflanze aus dem Erdreich, in dem sie steht. Der Sämann oder der Wind haben den Samen dorthin gebracht, wo er keimen und wachsen wird. Dort holt sich der Samen alles, was er braucht: Luft und Feuchtigkeit, Nährstoffe aus der Erde. Sie entwickelt allmählich ihre eigene Gestalt.

Gott, unser Vater, hat das Erdreich ausgesucht, er gibt die Gnade, damit wir Frucht bringen können. Worin besteht dieses Erdreich? Wir haben es so oft betrachtet, daß wir vielleicht schon ein wenig müde davon sind - und doch: ertappen wir uns nicht immer wieder dabei, wie uns gedankenlos die ganz konkrete tägliche Wirklichkeit abhanden kommt, wie wir zig Chancen verpaßen, daß die Gnade Gottes wirksam wird in unserem Umgang mit konkreten Menschen, die diese Tugenden und jene Untugenden haben? In unserer Arbeit mit allem, was sie an Angenehmem und Unangenehmem mit sich bringt? Dies alles ist unser Umfeld, das Erdreich, der Ort, an dem wir nach dem Willen des Herrn wie ganze Christen leben sollen.

Gott ruft zur Heiligkeit in jeder Lage: in Krankheit und Gesundheit, in Erfolg und Mißerfolg, in der Freizeit wie mitten in der Hektik einer aufreibenden Arbeit. In Christus hat der ewige Gott unsere Zeit - jegliche Zeit - geheiligt und heiligungsfähig gemacht. Jeder Augenblick unseres Lebens nimmt am ewigen Heute Gottes teil. Denn »Ewigkeit ist nicht das Uralte, das vor der Zeit war, sondern sie ist das ganz andere, das zu jeder vorübergehenden Zeit sich als ihr Heute verhält, ihr wirklich heutig ist. (...) Sie ist nicht Zeitlosigkeit, sondern Zeitmächtigkeit. Als das Heute, das allen Zeiten gleichzeitig ist, kann sie auch in jede Zeit hineinwirken«14.

Das Heute Gottes umfaßt all unsere »Zeiten« Nur wer aus einer rein natürlichen Perspektive, ohne das Licht der Gnade, die Wirklichkeit sieht, wird sagen: Jetzt ist nicht die richtige Zeit, der rechte Augenblick für Heiligkeit. Der selige Josemaría Escrivá warnt vor dieser Versuchung mit dem Worts»iel, jedes ojalá (»wenn ich doch« sei hojalata, »Blech« nur ein billiges, vorgetäuschtes Argument also: »Laßt falschen Idealismus, Träume und Phantastereien beiseite, laßt beiseite alles, was ich Blechmystik zu nennen pflege: wenn ich doch ledig geblieben wäre, wenn ich doch einen anderen Beruf gewählt hätte, wenn ich doch eine bessere Gesundheit besäße, wenn ich noch jung wäre, wenn ich doch schon alt wäre ...! Haltet euch vielmehr nüchtern an die ganz materielle und unmittelbare Wirklichkeit, denn dort ist der Herr.«15

III. Betrachten wir unser Leben aus der Sicht des nur Natürlichen, könnten wir meinen, manche Augenblicke oder Situationen, die uns so restlos vereinnahmen, ja überfordern, dispensierten uns gleichsam davon, sie zu heiligen: eine Prüfung, die uns so ganz in Anspruch nimmt, der Haushalt, der uns über den Kopf wächst, eine literarische Arbeit, die sich in die Länge zieht und unsere schöpferischen Kräfte auslaugt, eine knifflige, langwierige Tätigkeit, die uns entnervt und reizbar macht.

Doch unterschätzen wir nicht unsere Fähigkeit, mit Gottes Gnade Grenzen zu sprengen. Das heißt nicht, wie die selige Edith Stein schreibt, daß unser Ich »aus sich selbst heraus zu Kraftleistungen über seine Natur hinaus fähig wäre. Damit würde man ihm eine Schöpferkraft zusprechen, wie sie kein Geschöpf besitzen kann. Wird es über seine natürliche Kraft hinaus verpflichtet, so kann das nur den Sinn haben, daß es sich auf eine Kraftquelle außerhalb seiner Natur stützen könne. Der Glaube gibt die Antwort darauf, wo diese Kraftquelle zu suchen sei. Gott verlangt nichts vom Menschen, ohne ihm zugleich die Kraft dazu zu geben. Der Glaube lehrt es, und die Erfahrung des Lebens aus dem Glauben bestätigt es. Das Innerste der Seele ist ein Gefäß, in das der Geist Gottes (das Gnadenleben) einströmt, wenn sie sich ihm kraft ihrer Freiheit öffnet. Und Gottes Geist ist Sinn und Kraft. Er gibt der Seele neues Leben und befähigt sie zu Leistungen, denen sie ihrer Natur nach nicht gewachsen wäre, und er weist zugleich ihrem Tun die Richtung. Im Grunde ist jede sinnvolle Forderung, die mit verpflichtender Kraft vor die Seele tritt, ein Wort Gottes. Es gibt ja keinen Sinn, der nicht im Logos seine ewige Heimat hätte. Und wer ein solches Wort Gottes bereitwillig in sich aufnimmt, der empfängt eben damit die göttliche Kraft, ihm zu entsprechen.«16

Gerade in Engpässen sollen wir deshalb das persönliche Gebet um so eifriger pflegen, den Herrn im Tabernakel aufsuchen, die Muttergottes herzlicher anrufen, unsere Schutzheiligen bestürmen.

Auch im Apostolat dürfen wir nicht auf die »günstigste Gelegenheit« warten wollen, die wir uns phantastisch ausmalen und die sich doch niemals so ergibt. Die ersten Christen begannen apostolisch zu arbeiten, ehe die Situation günstig war. Sie wurde schließlich günstig, weil sie zu arbeiten begonnen hatten.

Mit Hilfe der Gnade erhalten die natürlichen Tugenden der Beständigkeit, Geduld, Ausdauer und Hochherzigkeit eine ganz neue Kraft: Macht eure Herzen stark, denn die Ankunft des Herrn steht nahe bevor17.

Unsere Liebe Frau möge uns die Entschlossenheit erwirken, hier und jetzt nach Heiligkeit zu streben.

1 Katechismus der Katholischen Kirche, 102. - 2 Mt 5,43-48. - 3 Lk 6,36. - 4 Joh 13,34. - 5 Katechismus der Katholischen Kirche, 2842. - 6 vgl. Phil 2,5. - 7 Gal 5,25. - 8 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.93. - 9 Mt 7,28. - 10 II.Vat.Konz., Konst. Lumen gentium, 39. - 11 ebd., 40. - 12 Cyprian von Karthago, Über das Gebet des Herrn. - 13 Joh 15,2. - 14 J.Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, S.263. - 15 Gespräche mit Msgr.Escrivá de Balaguer, 116. - 16 Edith Stein, Im verschlossenen Garten der Seele, Freiburg 1987, S.98. - 17 Jak 5,78.

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