JAHRESKREIS
14. WOCHE - FREITAG
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einfach
und klug
Zusammenspiel von Klugheit und Einfalt.
Um Rat bitten.
Die falsche Klugheit.
I. Im
Evangelium der heutigen Messe hören wir die Ratschläge, die der Herr seinen
Jüngern gab, als er sie aussandte, um die Nähe des Gottesreiches zu verkünden:
Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die
Schlangen und arglos wie die Tauben!1 Vielleicht waren die Jünger verwirrt, als
sie hörten, sie sollten sich vor den Menschen in acht nehmen. Wie ist es
möglich, daß ihre Botschaft der Freude Mißgunst und Bosheit hervorrufen kann?
Sie werden euch vor die Gerichte bringen... Warum sollen sie auf Widerspruch und
Verfolgung gefaßt sein, wenn sie Worte des Friedens verkünden? Aber der Herr
kennt die Welt und weiß, wie erbittert sie die Wahrheit bekämpfen kann; und er
kennt die Menschen und weiß, daß in ihnen neben der Sehnsucht nach dem Guten
auch die Neigung zum Bösen lebt, neben der Einfalt die Arglist. »Die Worte, mit
denen die Sendungen ausgesprochen werden, geben uns das Gefühl von etwas sehr
Verletzlichem. Etwas unendlich Kostbares, von dem das Heil der Menschen abhängt,
wird in eine feindliche Welt hinausgeschickt. Die Wahrscheinlichkeit spricht
dafür, daß es ihm schlimm ergehen werde, und dennoch hängt alles daran, daß es
Aufnahme finde und durchdringe.«2 Jesus ermahnt seine Jünger, daß sie sich,
damit ihre Verkündigung wirksam sei, nicht von den Wölfen im Schafspelz3
täuschen lassen. Klug sollen sie sein, aber gleichzeitig auch arglos und
schlicht, denn ohne Schlichtheit könnte die Klugheit zu Verschlagenheit
entarten.
Die
Mahnungen des Herrn gelten zu allen Zeiten. Auch heute brauchen wir das
Zusammenspiel von Klugheit und Einfalt, so daß beide sich gegenseitig stärken.
Was ist aber Einfalt des Herzens? Auf jeden Fall nicht Naivität, sondern eine
innere Klarheit, die ein unverfälschtes Erfassen der Realität erlaubt. Sie
erleichtert die kluge Überlegung, die die angemessenen Mittel zum Ziel wählt,
und das kluge Handeln, das treffsicher auf das Ziel gerichtet ist.
»Der
kluge Mensch, der nach allem wahrhaft Guten strebt, gibt sich Mühe, jede Sache,
jede Situation und sein ganzes Handeln nach dem Maßstab des sittlich Guten zu
bemessen. Klug ist also nicht - wie es so oft verstanden wird - derjenige, der
weiß, wie man im Leben durchkommt und für sich daraus den größten Nutzen zieht;
klug ist vielmehr derjenige, der sein ganzes Leben nach der Stimme des rechten
Gewissens und den Forderungen der richtigen Moral gestaltet.
Also ist
die Klugheit der Schlüssel, den jeder von uns von Gott erhalten hat. Dieser
Auftrag aber ist die Vervollkommnung des Menschen selbst. Gott hat jedem von uns
sein Menschsein geschenkt. Wir müssen auf diesen Auftrag antworten, indem wir
ihn folgerichtig durchführen.«4
II. Der
Herr lehrt uns mit seinem Wort und seinem Beispiel, was Klugheit bedeutet. Schon
als er mit zwölf Jahren im Vorhof des Tempels die Stille der verborgenen Jahre
unterbrach, waren die Zuhörer erstaunt über sein Verständnis und über seine
Antworten5. Später sehen wir ihn die Menschen mit kluger Pädagogik allmählich in
die großen Geheimnisse seines Kommens einführen: in das Geheimnis seiner
Gottessohnschaft und in das Geheimnis des Kreuzes.
Klugheit
erfordert Licht des Verstandes, um zu erkennen, was zu Gott führt und was von
ihm trennt. Das Streben nach Klarheit macht manchmal die Bitte um Rat
erforderlich. »Der erste Akt der Klugheit besteht in der Erkenntnis der eigenen
Grenzen, in der Tugend der Demut also. Wir sehen ein, daß wir uns in dieser oder
jener Frage nicht ganz auskennen oder daß wir manche Umstände, die für die
Urteilsfindung wichtig sind, nur ungenügend abschätzen können. Deshalb gehen wir
zu einem Ratgeber, und zwar nicht zu einem beliebigen, sondern zu dem, der mit
uns die Fähigkeit und den aufrichtigen Wunsch teilt, Gott zu lieben und ihm treu
zu folgen. Es genügt nicht einfach, daß wir uns einen Rat holen, sondern wir
müssen auch darauf achten, daß der gesuchte Ratgeber uneigennützig handelt und
Geradheit besitzt.«6
Ratsuchen
kann zur Pflicht werden, wenn es um wichtige Entscheidungen geht. Aber was ist
wichtig? Die Antwort hängt davon ab, wie geschärft der Sinn für Verantwortung
ist. Nicht alle sehen ein, weshalb heute dringender denn je der eigene
Lesestoff, Funk- oder Fernsehsendungen, Film- oder Theaterdarbietungen vorherige
Orientierung erfordern. So kann ein kompetenter Rat verhüten, daß aggressive
Angriffe auf den Glauben oder die Moral - offen oder verkappt - zu Zweifeln oder
Versuchungen führen, die man mit mehr Klugheit hätte vermeiden können.
Klugheit
und Einfachheit führen dazu, unsere Meinung richtigzustellen, wenn wir merken,
daß wir uns geirrt haben, oder wenn neue Gesichtspunkte auftreten, die die
Sachlage ändern. Und Klugheit und Einfachheit lassen uns immer wieder auch
demütig um Verzeihung für die Sünden und Fehler unseres Lebens bitten.
Eine der
ersten Ansprachen Papst Johannes Pauls II. ging über die Klugheit. Der Papst lud
zu einer Gewissenserforschung ein, die wir uns heute zu eigen machen können:
»Bin ich klug? Lebe ich konsequent und verantwortungsvoll? Dient das von mir
verwirklichte Lebensprogramm wirklich dem Guten? Dient es dem Heil, das Christus
und die Kirche für uns wünschen?«7
Natürlich
ist die Konkretisierung dieser Fragen nach der je eigenen Situation verschieden.
Für Schüler und Schülerin, Sohn oder Tochter heißt dies, in diesem Lichte den
Lesestoff, Hobbies und Freizeit, den Umgang mit Freunden und Freundinnen zu
prüfen. Für Eltern heißt es, an die ehelichen und elterlichen Pflichten zu
denken. Für einen Politiker, einen Journalisten oder jemanden, der Einfluß auf
die öffentliche Meinung hat, bedeutet es, über die Tragweite dieses Einflusses
nachzudenken. Aber eins ist für alle gültig: »Die Ausrichtung des Wollens und
Wirkens an der objektiven Wirklichkeit«8 erfordert eine feinfühlige Prüfung des
Gewissens im Blick auf das echte und unwandelbare Ziel menschlichen Lebens, das,
so will es der Herr, die Heiligkeit ist. Entspricht die Art und Weise, wie ich
lebe, diesem Ziel? Beseitige ich die Hindernisse auf meinem Weg? Bitte ich in
den Angelegenheiten meines christlichen Lebens um Rat, damit ich vorankomme?
III. Es
gibt eine falsche Klugheit, die der heilige Paulus das Trachten des Fleisches9
nennt, das zum Tod führt und Feindschaft gegen Gott ist. Sie stellt sich keine
Gewissensfragen, sondern richtet sich nach Nützlichkeitskriterien. Dazu gehört
die Verschlagenheit, eine »hinterhältige und unsachliche, ausschließlich auf das
>Taktische< bedachte Sinnesart des Intriganten, der weder geradeaus zu blicken
noch geradeaus zu handeln vermag«10. Das steht der Einfalt des Herzens entgegen
und läßt von der aufrichtigen und reinen Hingabe an Christus abkommen11.
Dem
Trachten des Fleisches fehlt, wenn nötig, der Mut zu richtigen, aber
folgenreichen Entscheidungen, es wartet immer auf einen günstigeren Zeitpunkt,
etwa um ein Gespräch mit dem Freund über für ihn wichtige geistliche Aspekte des
Lebens zu führen. Und wenn es um die eigene Hingabe an Gott geht, findet diese
falsche Klugheit immer wieder neue Argumente für einen Aufschub, sie beruft sich
auf Unwägbarkeiten und zögert so eine großmütige Tat immer weiter hinaus.
Die
Heilige Schrift und die christliche Tradition zeigen, daß Klugheit nichts zu tun
hat mit raffiniertem Kalkül. Die Heiligen handelten ganz anders. Sie folgten
Christus mit der Unbedingtheit der Liebe, und sie waren - wie in jeder wahren
Liebe - zu Taten fähig, die in den Augen der Welt als Torheiten galten. Wenn der
Herr in unser Leben eingreift und uns um mehr bittet, dürfen wir nicht verzagt
reagieren wie jemand, der alles im Griff behalten will. Viel weniger noch dürfen
wir uns nach jenen richten, die alles nur irdisch sehen. Gott »will und liebt
beherzte Seelen, wenn sie nur in Demut wandeln und nicht auf sich selbst
vertrauen. (...) Ich staune darüber, wieviel auf diesem Wege darauf ankommt, daß
man sich zu großen Dingen ermutige. Hat die Seele auch noch nicht die Kräfte,
sie sogleich auszuführen, so macht sie doch schon einen Flug und kommt weit
voran, wenn sie auch, einem Vöglein gleich, das noch zu wenig flügge ist, müde
wird und ausruht.«12
Von Jesus
hieß es: Er ist von Sinnen13. Er hätte dem Tod ausweichen können. Er hätte mit
Kompromissen seine Lehre verharmlosen können, um sie seinen Widersachern
schmackhaft zu machen. Er hätte in der Synagoge von Kafarnaum14 seine Rede über
die Eucharistie entschärfen können, als viele ihn verließen. Er hätte sich vor
Pilatus seine Freiheit erkaufen können. Mit seiner Entschiedenheit gibt uns der
Herr indes die Maßstäbe wahrer Klugheit. Wer ihm nachfolgt, wird Widerspruch
erfahren und - wie der Herr - für einen Toren gehalten werden. Aber er wird auch
Freunde, Verwandte und Kollegen nachdenklich stimmen und sie für Gott einnehmen
können.
»Willst
du durch ein Leben voll heiliger Kühnheit dahin gelangen, daß Gott durch dich
wirkt? - Rufe Maria an! Sie wird dich auf dem Weg der Demut begleiten, und so
wirst du es fertigbringen, angesichts all dessen, was dem menschlichen Verstand
unmöglich erscheint, mit einem >fiat!< zu antworten - es geschehe! Mit diesem
Wort, in dem Himmel und Erde sich verbinden.«15
1 Mt
10,16. - 2 R. Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S. 139. - 3 Mt 7,15. - 4
Johannes Paul II., Ansprache 25.10.1978. - 5 Lk 2,47. - 6 J. Escrivá, Freunde
Gottes, 86. - 7 Johannes Paul II., a.a.O. - 8 J. Pieper, Das Viergespann,
München 1964, S. 22. - 9 Röm 8,6. - 10 J. Pieper, a.a.O., S. 36. - 11 2 Kor
11,3. - 12 Theresia von Avila, Leben, 13,2. - 13 Mk 3,21. - 14 vgl. Joh 6,1ff. -
15 J. Escrivá, Die Spur des Sämanns, Nr. 124.