JAHRESKREIS
30. WOCHE - DIENSTAG
5
WIR SIND
KINDER GOTTES
Das
Geschenk der Gotteskindschaft.
Kinder des Vaters durch den Sohn im Heiligen Geiste.
Aus der Gotteskindschaft geht alles andere hervor.
I.
Er sprach zu
mir: Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt.1
Dieses Wort aus dem zweiten Psalm gilt zunächst dem König, dem Nachfolger
Davids, dem Sohn Jahwes im Sinne einer die Berufung Israels zusammenfassenden
Auserwählung. Immer mehr bildete sich auf diesem Hintergrund eine Theologie der
messianischen Hoffnung auf einen künftigen Herrscher heraus, in welchem sich -
anders als beim stets von den Großmächten der Nachbarländer bedrängten König -
voll die Worte verwirklichen würden:
Mein Sohn bist du. Heute habe ich
dich gezeugt. Fordere von mir, und ich gebe dir die Völker zum Erbe, die Enden
der Erde zum Eigentum.
In
Christus werden diese Worte auf eine ungeahnte Weise Wirklichkeit. Der erwartete
messianische König ist der menschgewordene Gott, die zweite Person der
Allerheiligsten Dreifaltigkeit. In einem ewigen, göttlichen Heute zeugt der
Vater den Sohn, dessen ganzes Sein in der Sohnschaft besteht. »Von Ewigkeit her
teilt der Vater alles, was er ist, dem Sohn mit. Der Vater lebt im Bezug auf den
Sohn, im Sich-selbst-Verschenken an den Sohn. Ebenso lebt der Sohn im Bezug zum
Vater; indem er sich vom Vater empfängt und liebend auf den Vater zurückbezieht,
ist er der Sohn. Der Vater ist der Ursprung und die Quelle des Sohnes. Der Sohn
besitzt aber dasselbe Gottsein als vom Vater geschenktes. Deshalb ist er eines
Wesens mit dem Vater. Er ist daher nicht wie die Geschöpfe aus dem Nichts
hervorgebracht, nicht geschaffen, sondern gezeugt, ohne zeitlichen Anfang, im
ewigen Jetzt der Ewigkeit Gottes.«2
Sohnschaft im eigentlichen Sinne des Wortes erfordert Gleichheit der Natur.
Deshalb ist nur Jesus Christus wahrer Sohn Gottes. Man kann in einem weiteren
Sinne die vernunftbegabten Geschöpfe Kinder Gottes nennen, wenn auch dieses
Kindsein sehr unvollkommen ist, da seine Ähnlichkeit mit dem Schöpfer nicht
Gleichheit der Natur bedeutet.
Durch die
Taufe jedoch geschieht eine Neugeburt. Wir werden ins Übernatürliche erhoben und
der göttlichen Natur teilhaftig. Diese Erhebung ins Übernatürliche ist der
Urgrund unseres Kindseins aus Gott, das weit über dem Kindsein aus einem
Menschen steht.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, allen,
die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des
Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.3
Der Kirchenvater Irenäus von Lyon schreibt: »Dazu ist das Wort Gottes Mensch
geworden und der Sohn Gottes zum Menschensohn, daß der Mensch das Wort in sich
aufnehme und, an Kindes Statt angenommen, zum Sohn Gottes werde.«4
Die
Gotteskindschaft ist die Mitte der Verkündigung Jesu. Sie ist die eigentliche
Frohe Botschaft Christi und ein unüberbietbares Zeugnis der Liebe Gottes zu den
Menschen: Seht,
wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder
Gottes, und wir sind es.5
Diese Verfaßtheit als Söhne und Töchter Gottes wird erst im Himmel ihre
Vollendung erfahren, aber schon hier auf der Erde haben wir
als Erstlingsgabe den Geist,
wie wir in einer der heutigen Lesungen hören.6
Paulus spricht vom sehnsüchtigen Warten der ganzen Schöpfung
auf das
Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung liege
bis zum heutigen
Tag seufzend in Geburtswehen wie wir Menschen, denn auch wir
seufzen in
unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als
Söhne offenbar werden. Der Apostel bezieht sich auf die Fülle
dieser Adoption, die bereits hier auf Erden wirksam ist und die höchste Ehre des
Menschen ausmacht:
Daher bist du nicht mehr Sklave,
sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe.7
Deshalb
können wir sinngemäß die Worte auf uns übertragen, die der Vater von Ewigkeit
her zum Sohn spricht:
Du bist mein Sohn, heute habe ich
dich gezeugt. Dieses
Heute jedoch ist für
uns das Heute des irdischen Lebens, in welchem sich Tag für Tag das neue, von
Gott geschenkte Sein erneuert. »Er sagt zu uns:
Du bist mein Sohn;
nicht ein Fremder, nicht ein Knecht, den man gütig behandelt, nicht ein Freund -
das wäre schon viel -, ein Sohn! Er ebnet uns den Weg, ihm mit der liebenden
Ehrfurcht eines Sohnes zu begegnen - ja, ich wage zu sagen - auch mit der
Unbekümmertheit eines Sohnes gegenüber seinem Vater, der es nicht übers Herz
bringt, ihm eine Bitte abzuschlagen.«8
II.
Du bist mein
Sohn ... Das Wort gilt, wie wir gesehen haben, auch uns. Der Herr
verkündet immer wieder das Geheimnis der Gotteskindschaft und ermuntert die
Seinen, sich an Gott als ihren Vater zu wenden9
und vollkommen zu sein,
10.
Auch in den Gleichnissen, Bildern und Beispielen, mit denen er seine
Verkündigung illustriert, begegnet uns oft die Gestalt eines Vaters, der sich um
seine Kinder sorgt.11
»Alle
Menschen sind Kinder Gottes, ihres Schöpfers. Aber die Christen
wissen
es - oder sie sollten es wissen -, und zwar nicht theoretisch, sondern
existentiell: Jesus Christus hat ihnen Gott als den Vater gezeigt, nicht >im
Bilde<, sondern in Fleisch und Blut, nämlich in sich selbst. Die Wortkonkordanz
der Heiligen Schrift weist allein für die vier Evangelien 131 Stellen nach, wo
der Herr die Vaterschaft Gottes und damit die Kindschaft des Menschen als die
fundamentale und zentrale Lebenswirklichkeit, als das >Prinzip Liebe< der ganzen
Schöpfung bezeugt. Gott ist die Liebe, er ist sie als Vater, der uns zu Brüdern
seines eingeborenen, ihm wesensgleichen Sohnes gemacht hat. Das ist der Kern der
christlichen Religion. Die Selbstoffenbarung Jesu als >wesensgleicher Sohn des
Vaters< ist überwältigend (...). Für mich ist das vom Evangelisten Johannes
aufgezeichnete Gespräch mit Thomas und Philippus am Vorabend der Passion (Joh
14,5-11) einer der ergreifendsten und zugleich schlüssigsten, von keinem
>frommen Schriftsteller< ausdenkbaren Beweise des Gott-Menschseins Jesu Christi
(...). Diese Stelle ist es gewesen, die mich, als ich neunzehn Jahre alt war,
schlagartig, in Sekundenschnelle aus dem kühlen Abseits einer
humanistisch-liberalen >Bildungsreligion< zum Glauben gebracht hat.«12
Die
Gotteskindschaft ist nicht lediglich eine Idee, nicht ein bloßes Bild, ein
Gleichnis etwa, das uns nahebringen möchte, Gott sei in seiner Liebe einem
irdischen Vater ähnlich und verdiene das Vertrauen, das ein Kind seinem
leiblichen Vater entgegenbringt. Sie ist auch nicht bloß eine gradmäßige
Steigerung des Bandes, das im weiteren Sinne jedes Geschöpf mit Gott, seinem
Schöpfer, verbindet. Die Liebe Gottes reicht weiter als all diese Bilder, sie
macht uns wirklich zu seinen Kindern. Sie übersteigt unseren Verstehenshorizont.
Nur betend haben wir Zugang zu ihr. Wenn wir jeden Tag das Vaterunser beten,
bekennen wir diese schöpferische Liebe und ihre wichtigste Frucht: die
Gotteskindschaft.
Unsere
Gotteskindschaft ist Teilnahme an der Sohnschaft der zweiten Person der
Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Wir treten in das innere Leben Gottes ein, in
den Lebensaustausch von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Man kann sagen, daß wir
Kinder des Vaters durch den Sohn im Heiligen Geist sind. »Wenn er aus dem
Taufwasser aufsteigt, vernimmt jeder Christ die Stimme, die am Ufer des Jordan
erklang: Du bist
mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden (Lk
3,22).
Er versteht, daß er als Erbe dem geliebten Sohn zugesellt (vgl.
Gal
4,4-7) und damit Bruder oder Schwester Christi wurde. So erfüllt sich der ewige
Plan des Vaters in der persönlichen Geschichte eines jeden Christen:
denn alle, die
er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und
Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen
Brüdern sei (Röm
8,29).«13
Die
Gotteskindschaft besteht nicht in einer subjektiven Stimmung. Sie ist eine
objektive Wirklichkeit. Besonders in schwierigen Situationen unseres Lebens
vermag sie uns zu stützen, zu ermutigen, zu beflügeln. »Dir ist, als stürze die
ganze Welt über dir zusammen. Nirgendwo zeigt sich ein Ausweg. Wirklich, diesmal
ist es unmöglich, der Schwierigkeiten Herr zu werden.
Hast du
denn wieder vergessen, daß Gott dein Vater ist? Ein allmächtiger, allwissender,
barmherziger Vater? Niemals kann er dir Schlechtes schicken. Was dir Sorgen
bereitet, ist gut für dich, auch wenn deine irdischen Augen jetzt blind sind.
Omnia in
bonum!
Herr, dein allwissender Wille geschehe, jetzt und immer!«14
III. Die
Gotteskindschaft »gehört zu den religiösen >Termini<, die glatt über die Lippen
gehen; es erscheint einfach, selbstverständlich, vielleicht sogar >simpel<. Und
wie so oft ist das Einfachste das Schwerste. Die von Christus mit höchster
Vollkommenheit und Autorität dargelegte und vorgelebte Kindschaft zu Gott stellt
für den Christen die in der Taufe geschehende gnadenhafte >Programmierung<
seines Daseins dar, die aber, da er frei ist, nicht automatisch >abläuft<,
sondern der gewählte und gewollte Weg der Liebe sein muß (...). Aus der
tatsächlich gelebten Kindschaft geht
alles andere hervor,
(...) Demut, das gläubige Vertrauen, die Freude, die Gelassenheit, die Reinheit
und Aufrichtigkeit, die Dienstwilligkeit, die Liebe zum Vater und zum Bruder und
Herrn Jesus Christus, welche sich im dauernden Umgang der Seele mit der
göttlichen Dreifaltigkeit, mit der Muttergottes, mit den Heiligen, in der Treue
zur Kirche als dem mystischen Leibe Christi und in der immerwährenden Zuwendung
zum Nächsten, und das schließt ein: in der Umarmung des Kreuzes, ausdrückt.«15
Die
gelebte Gotteskindschaft bringt die Einheit des Lebens hervor und läßt die
Frömmigkeit wachsen als »eine zutiefst in der Seele verwurzelte Haltung, die
schließlich das ganze Dasein eines Menschen umfaßt; sie ist gegenwärtig in jedem
Gedanken, in jedem Wunsch, in jeder Gemütsregung
Wir werden dann empfänglicher für die Gaben, die Gott uns schenken will, um uns
seinem menschgewordenen Sohn Christus immer ähnlicher werden zu lassen.
Wenn wir
die Gotteskindschaft häufig in unserem persönlichen Gebet betrachten, wird es
leichter, auch inmitten lästiger Versuchungen und Widerwärtigkeiten den Frieden
zu bewahren, denn wir wissen uns ganz in Gottes Händen. Jedoch enthebt uns
dieses Sich-Überlassen weder der redlichen Anstrengung, als Christ leben zu
wollen, noch des klugen Einsatzes aller erforderlichen Mittel, um eine bestimmte
Situation - sei es Krankheit oder finanzielle Sorgen - zu meistern.
Die
Gotteskindschaft ist auch, fern einem bloß verschwommenen Gefühl irdischer
Solidarität, das Fundament der Brüderlichkeit unter den Menschen. »Wenn ich
Vater sage, geht das Wort >Vater< von selbst über in das Wort >unser<. Ich kann
nicht allein >Vater< sagen zu Gott. Wenn ich Vater sage, muß ich das Wir seiner
Kinder annehmen. Aber auch umgekehrt gilt: Wenn ich Vater sage, weiß ich, daß
ich in der Gemeinschaft aller Kinder Gottes stehe und sie alle bei mir sind. So
führt mich das Reden zu Gott nicht weg von der Verantwortung für die Erde und
für die Menschen, es gibt sie mir neu zurück.«17
Ps
2,7. - 2
Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bonn 1985, S.79. -
3
Joh
1,12-13. -
4 Irenäus von Lyon,
Gegen
die Häresien, 3,19. -
5
1 Joh
3,1. - 6
Röm
8,19-23. -
7
Gal
4,7. - 8
J.Escrivá,
Christus begegnen, 185.
- 9
vgl.
Mt 6,9. -
10 vgl.
Mt
5,48. - 11
vgl. z.B.
Mt 7,11; 18,14; 21,28.
- 12
P.Berglar,
Opus Dei - Leben und Werk des
Gründers Josemaría Escrivá, Köln 1992, S.94-95. -
13
Johannes Paul II., Apost.Schreiben
Christifideles Laici,
30.12.88, 11. -
14 J.Escrivá,
Der
Kreuzweg, IX,4. -
15 P.Berglar, a.a.O.,
S.95. - 16
J.Escrivá,
Freunde Gottes, 146. -
17
J.Ratzinger,
Mitarbeiter der Wahrheit,
Würzburg 1992, S.99.