Spanisch Deutsch Portugiesisch ---- Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch Portugiesisch
Francisco Fernández-Carvajal Hablar con Dios

Jahreskreis
22. Woche - Montag

31

Messias des Erbarmens

An der Wiege des Evangeliums.
Christus macht Gottes Erbarmen sichtbar.
Gerechtigkeit und Erbarmen.

I. In jener Zeit kam Jesus nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge.1 Wir stehen am Anfang des öffentlichen Wirkens Jesu. Nicht nur der Name Nazaret führt uns in die Zeit seiner Kindheit und Jugend zurück, als er mit Josef und Maria aufmerksamer Zuhörer in der Synagoge war; auch die beiläufige Bemerkung: wie gewohnt läßt uns fragen, wie die Atmosphäre in dem kneseth, dem Ort der Versammlung gewesen sein mag. »In der Tat war die Synagoge, die wir uns vornehmlich als ein Haus des Gebetes vorstellen, in erster Linie ein Ort der religiösen Unterweisung. Von einem Kult im eigentlichen Sinne konnte nicht die Rede sein, da dieser nur im Tempel von Jerusalem dargebracht werden durfte. (...) Jede Woche gab es einen Tag, an dem man ruhen mußte; an diesem Tage traf man sich in einer religiösen Versammlung. (...) Dort, wo - außerhalb Jerusalems - die Vertreter der Hierarchie fehlten, lag die religiöse Belehrung nicht in der Hand ganz bestimmter Personen. Ohne Zweifel gab es Leute, die besonders geeignet waren und mit besonderer Vorliebe gehört wurden, aber der Leiter lud auch gern einmal einen Israeliten von untadeligem Rufe und guter Kenntnis der Heiligen Schriften ein, das Wort zu ergreifen, mochte dieser auch nur zufällig des Weges kommen.«2 Man las aus einer Rolle vor, stehend aus Ehrfurcht vor dem Wort Gottes: Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch des Propheten jesaja. Er schlug das Buch auf.

Jesus wird die Stelle auf hebräisch vorgelesen und dann in den aramäischen Dialekt Galiläas übersetzt haben: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloß er das Buch, gab es dem Synagogenvorsteher und setzte sich.

Alle kennen ihn, gespannte Erwartung breitet sich aus: Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. »Die Stelle bezieht sich beim Propheten auf den Gottesknecht, der sich von Gott bevollmächtigt und beauftragt (>gesalbt<) weiß, >ein göttliches Gnadenjahr< (so der hebräische Text) anzukündigen, eine Frohbotschaft für alle Armen, Verfolgten und Leidenden zu verkündigen. Der Ausdruck und Begriff >Evangelium< hat hier seine Grundlage.«3 Doch bezog die rabbinische Textauslegung diese Stelle nicht auf den Messias, sondern auf den Propheten selbst. Darum mußte der Anspruch, der in Jesu Worten lag, den Zuhörern neu, ja unerhört klingen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, Jesus beginnt, die Schätze zu enthüllen, die verborgen in der religiösen Tradition Israels bereit lagen. »Er vollzieht im Rahmen ein und derselben göttlichen Offenbarung den Übergang vom Alten zum Neuen, nicht indem er das Gesetz aufhob, sondern es vielmehr erfüllte (vgl. Mt 5,17).«4 jetzt ist der Augenblick gekommen, wie wir im Hebräerbrief lesen: Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.5

Gott..., der voll Erbarmen ist (Eph 2,4) wurde uns von Jesus Christus als Vater geoffenbart: sein Sohn selbst hat ihn uns in sich kundgetan und kennengelehrt.«6 Mit diesen Worten beginnt die Enzyklika Dives in misericordia. In ihr äußert Papst Johannes Paul II. den Wunsch, sich nach Redemptor hominis »noch einmal in das Geheimnis Christi zu versenken, um in ihm das Antlitz des Vaters zu entdecken, der der >Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes< (2 Kor 1,3) ist.«7

Die Worte des Herrn in der Synagoge von Nazaret »sind bei Lukas Jesu erste Messias-Offenbarung, der dann die Taten und Worte folgen, die wir aus dem Evangelium kennen. Durch diese Taten und Worte macht Christus den Vater unter den Menschen gegenwärtig.«8

Gott erbarmt sich der Menschen, besonders jener, die im Elend der Sünde stecken. Kaum eine andere Wahrheit wird in der Heiligen Schrift so eindringlich verkündet wie diese. Sie lehrt mit vielen Begriffen und Bildern, daß die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist, alle Menschen und Völker umfaßt und weder auf einen Ort noch einen Raum beschränkt ist: ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue9.

Durch die Menschwerdung wird Gottes »>unsichtbare Wirklichkeit< auf besondere Weise >sichtbar< in unvergleichlich höherem Maß als durch all seine anderen >Werke<: sie wird sichtbar in Christus und durch Christus, durch seine Taten und seine Worte und schließlich durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung.«12 Der Menschensohn - gütig und von Herzen demütig13 - kommt, um uns als barmherziger und treuer Hoherpriester` mitjenem zu versöhnen, der voll Erbarmen und Mitleid" ist. In seiner Nachfolge können die Menschen untereinander versöhnt leben.

= 10 Der Menschensohn - gütig und von Herzen demütig11 - kommt, um uns als barmherziger und treuer Hoherpriester12 mit jenem zu versöhnen, der voll Erbarmen und Mitleid13 ist. In seiner Nachfolge können die Menschen untereinander versöhnt leben. Gott, der uns in seinem großen Erbarmen neu geboren14 hat, wird nicht müde, uns immer wieder zu vergeben und auf unserem Weg zu ermutigen. Dieser Weg ist mühsam, wir gehen ihn beladen mit unseren Erbärmlichkeiten, von Nöten und Gefahren bedrängt, aber in der Nachfolge Christi: »In Christus offenbart, erlaubt uns die Wahrheit über Gott, den >Vater des Erbarmens< (2 Kor 1,3), ihn dem Menschen besonders nahe zu >sehen<, und zwar vor allem dann, wenn der Mensch leidet, wenn er im Kern seiner Existenz und seiner Würde bedroht ist ist.«15 Das Evangelium berichtet, wie gerade leidende, bedrängte, bedrohte Menschen am lautesten zu Jesus rufen, so die Aussätzigen und Blinden: Hab Erbarmen mit uns.16

Die Güte des Herrn uns gegenüber übersteigt alle menschlichen Maßstäbe. Als er die Geschichte vom barmherzigen Samariter17 erzählte, gab er nicht nur eine Antwort auf die Frage des Gesetzeslehrers: Und wer ist mein Nächster? In der Fürsorge des Samariters um den Mann, der von Räubern überfallen worden war und halbtot am Wege lag, charakterisierte er auch sich selbst. Er ist unser barmherziger Samariter, er salbt und heilt unsere Wunden mit Öl - nicht nur einmal, sondern immer wieder. Besonders in den Sakramenten erfahren wir seine Barmherzigkeit. Wir gehen wie die Kranken, die Blinden und die Gelähmten zu ihm, der im Tabernakel unter uns weilt, und bitten ihn: Hab Erbarmen mit mir. In ihm »kann jeder Mensch auf einzigartige Weise das Erbarmen erfahren, das heißt die Liebe, die mächtiger ist als die Sünde«18. Jedesmal, wenn wir uns zu Gott bekehren, erfahren wir neu sein Erbarmen.

III. Gott will, daß wir uns von seinem Erbarmen anstecken lassen: 19 Seine unendliche Barmherzigkeit erreicht uns in dem Maße, in dem wir gegenüber dem Nächsten Barmherzigkeit üben: Nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.20 »Der Mensch hat Zugang zur erbarmenden Liebe Gottes, zu seinem Erbarmen, im Maß und insofern er sich selbst innerlich von diesem Geist der Liebe zum Nächsten umwandeln läßt.«21 Wenn das Herz sich gegenüber Elend und Not des Nächsten verhärtet, wird das Tor, das die göttliche Barmherzigkeit uns öffnet, enger.

Unsere Zeit ist hochsensibel geworden für das Thema Gerechtigkeit, aber nicht selten möchte man sie von der Barmherzigkeit trennen, weil man in ihr einen einseitigen Akt sieht, der zwischen dem Gebenden und dem Empfangenden einen Abstand entstehen läßt. Daraus »ergibt sich die Anmaßung, die zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen vom Erbarmen zu befreien und ausschließlich auf die Gerechtigkeit zu gründen. Solchem Denken über das Erbarmen entgeht das fundamentale Band zwischen Erbarmen und Gerechtigkeit, von dem die ganze biblische Tradition und noch mehr die messianische Sendung Jesu Christi spricht. Das echte Erbarmen ist sozusagen die tiefste Quelle der Gerechtigkeit. Ist es der letzteren gegeben, zwischen den Menschen nach Gebühr >Recht zu sprechen<, wenn sie die Sachgüter verteilen und tauschen, so ist die Liebe und nur die Liebe (auch jene gütige Liebe, die wir als >Erbarmen< bezeichnen) fähig, den Menschen sich selbst zurückzugeben.«22 Gerechtigkeit allein genügt nicht, weder im Familienleben noch im Miteinander eines Unternehmens. Natürlich setzt die Ubung der Barmherzigkeit Gerechtigkeit voraus, aber »durch das bloße Berechnen dessen, was zusteht, wird das gemeinsame Leben notwendigerweise unmenschlich«23. Der erbarmende Blick über die Gerechtigkeit hinaus eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten des Miteinander. Er macht uns geneigt zur Vergebung, und manchmal entdekken wir, daß eine vermeintliche Beleidigung nur eingebildet war oder Folge unserer mangelnden Demut; wir stehen dem bei, der aus Zeitmangel oder Müdigkeit mit seiner Arbeit nicht zurechtkommt; wir erspüren im ernsten Gesicht eine bedrückende Sorge und suchen nach einem Wort der Anteilnahme; wir sind bereit, jemandem aus einem Engpaß zu helfen...

Selbst wenn sich einmal der Traum von einer vollkommen gerechten Welt verwirklichen würde, wäre die Barmherzigkeit nötig. »Die geschichtliche Welt ist nicht so gebaut, daß durch Wiedererstattung und Bezahlung der Schuldigkeit das Gleichgewicht völlig hergestellt werden könnte. (...) Es gibt Schuldigkeiten, zu deren Natur es gehört, daß sie nicht völlig abgeleistet werden können, wie sehr auch der Schuldner dazu gewillt sein mag. Und wenn Gerechtigkeit soviel bedeutet wie: das Zustehende geben, debitum reddere - dann gibt es Schuldverhältnisse, in denen die Gerechtigkeit niemals verwirklicht werden kann. Es sind nun aber gerade die das menschliche Dasein von Grund auf bestimmenden Beziehungen, denen solche Unstimmigkeit eigentümlich ist.«24

Das Erbarmen braucht »als grundlegende Struktur immer die Gerechtigkeit. Aber es hat die Kraft, der Gerechtigkeit einen neuen Inhalt zu geben«25; denn während die Gerechtigkeit auf den Bereich der Sachgüter zielt, bringen Liebe und Erbarmen die Menschen dazu, »einander in dem Wert zu begegnen, den der Mensch selbst in der ihm eigenen Würde darstellt«26. Wenn jemand eine Schuld über das Geschuldete hinaus begleicht, hat er nicht nur der Gerechtigkeit genüge getan, sondern auch auf eine sehr menschliche Art seinen Dank geaußert. Im Alltag finden wir oft Gelegenheiten dazu. »Die Welt der Menschen kann nur dann >immer menschlicher< werden, wenn wir in allen gegenseitigen Beziehungen, die ihr geistiges Antlitz prägen, das Element des Verzeihens einbringen, welches für das Evangelium so wesentlich ist. Das Verzeihen bezeugt, daß in der Welt eine Liebe gegenwärtig ist, die stärker ist als die Sünde. Es ist darüber hinaus die Grundbedingung für die Versöhnung, nicht nur in den Beziehungen zwischen Gott und dem Menschen, sondern auch in den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Menschen. Eine Welt ohne Verzeihen wäre eine Welt kalter und ehrfurchtsloser Gerechtigkeit, in deren Namen jeder dem anderen gegenüber nur seine Rechte einfordert.«27

In Maria triumphiert die Macht des Erbarmens Gottes mit den Menschen. Nehmen wir unsere Zuflucht zu ihr, die Gottes Erbarmen 28 verkündet.

Lk 4,16-30. - 2 M.-J. Lagrange, Das Evangelium von Jesus Christus, Heidelberg 1949, S.125. - 3 Regensburger Neues Testament, Bd.3, Regensburg 1955, S.112. - 4 Johannes Paul II., Katechese, 4.2.1987. - 5 Hebr 1,1. - 6 Johannes Paul II., Enz. Dives in misericordia, 1. - 7 ebd. - 8 ebd., 3. - 9 Ps 100,5. - 10 Johannes Paul II., a.a.O., 2. - 11 Mt 11,28. - 12 Hebr 2,17. - 13 Jak 5,11. - 14 1 Petr 1,3. - 15 Johannes Paul II., a.a.O., 2. - 16 Mt 9,27; 14,20; 15,22; 20,30; Mk 10,47; Lk 17,13. - 17 Lk 10,25-37. - 18 Johannes Paul II., a.a.O., 13. - 19 Mt 5,7. - 20 Mt 7,2. - 21 Johannes Paul II., a.a.O., 14. - 22 ebd. - 23 J. Pieper, Über die Gerechtigkeit, München 1965, S.132. - 24 ebd., S.119. - 25 ebd. - 26 Johannes Paul II., a.a.O., 14. - 27 ebd. - 28 Lk 1,50.

* Editions Wort (Inhaber von Urheberrechten) hat uns ermächtigt, tägliche Meditation auf bestimmte Benutzer zum persönlichen Gebrauch zu verbreiten, und wollen nicht ihre Verteilung durch Fotokopieren oder andere Formen der Distribution.